Eine unabhängige nationale Meldestelle für den Schweizer Sport: Auf gutem Weg

25. Juni 2022

Bald zwei Jahre ist es her, seit die Berichte aus dem Leistungszentrum des Schweizerischen Turnverbands in Magglingen die Schweizer Öffentlichkeit wachrüttelten. Minderjährige Sportlerinnen erzählten von unhaltbaren Trainingsmethoden und psychischer Gewalt. Um Athlet:innen künftig besser zu schützen, wollen Bund und Verbände umfassende Massnahmen umsetzen. Eine davon war die Schaffung einer zentralen, unabhängigen Meldestelle für den ganzen Schweizer Sport. Am 1. Januar 2022 hat nun die Meldestelle von Swiss Sport Integrity ihren Betrieb aufgenommen.

 

Kindgerechte Meldestelle 

Die Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz begrüsst die nationale Meldestelle sehr und befürwortet die Schaffung einer rechtlichen Grundlage dafür. Insbesondere Minderjährigen kommt im Sport eine vulnerable Position zu; aufgrund ihres Alters, dem Machtgefälle zwischen Trainer:innen und Sportler:innen und der vielen Zeit, die sie beim Sport verbringen. Die unabhängige Meldestelle ist deshalb gerade für sie ein wichtiger Schritt zu mehr Fairness und Schutz im Sport. Dies wird aber nur gewährleistet, wenn es für Kinder und Jugendliche selbst möglich ist, eine Meldung zu erstatten. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass sie Unterstützung von ihren Eltern oder dem weiteren Umfeld erhalten. Häufig setzen gerade die Eltern zusätzlichen Druck auf und stellen die sportlichen Erfolge vor die Interessen der Kinder. Die Website von Sport Integrity muss somit zwingend kindgerecht sein. Eine Meldungserstattung muss unkompliziert und verständlich sein.  


 

Praxiswissen teilen & Kindgerechtigkeit schaffen 

Wir von der Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz wissen aus unserer täglichen Beratungspraxis, dass es essentiell ist, dass das Erstatten einer Meldung sehr niederschwellig sein muss, weshalb unbedingt kindgerechte Informationen bereitgestellt werden müssen. Dies gilt auch für das gesamte folgende Verfahren. Die Kinder und Jugendlichen müssen ebenso wie Erwachsene über die weiteren Schritte informiert werden. Dafür benötigt es auch hier zwingend kindgerechtes Informationsmaterial und Kenntnisse über kindgerechte Beratung. Eine entsprechende Grundlage sollte sich in der Sportförderungsverordnung (SpoFöV) finden, um der auszuführenden Meldestelle klare Anforderungen zu stellen. 
 

 

Beratende Fachpersonen: Weiterbildungen und Inter-/Multidisziplinarität 

Ebenso wichtig ist, dass die Fachpersonen, insbesondere bei Aufnahme der Meldung, spezifisch geschult sind. Zum einen müssen sie sich im Umgang mit Minderjährigen auskennen, insbesondere in Entwicklungspsychologie, Gesprächsführung mit Kindern und Konfliktmanagement und ihre eigene Rolle verstehen, zum anderen aber auch im Umgang mit allenfalls traumatisierten Opfern.  

Zudem ist es unablässig, dass bei der Meldestelle ein interdisziplinäres Team, insbesondere aus den Bereichen Recht, Psychologie und Medizin, arbeitet. Einerseits vereinfacht dies die Triage an die korrekten, spezialisierten Fachstellen. Andererseits ist es wichtig für eine umfassende Besprechung der Fälle und dient der Eliminierung etwaiger Interessenkonflikte. 


 

Was passiert bei Tatbeständen?  

Was passiert, wenn die Meldestelle einen Sachverhalt feststellt, der voraussichtlich einen Straftatbestand erfüllen kann und ein Offizialdelikt darstellt? Informiert die Meldestelle die zuständigen Strafbehörden oder wird eine solche Meldung nicht gemacht? Unabhängig davon ist es unerlässlich, dass Opfer umfassend beraten werden bezüglich der strafrechtlichen Relevanz ihres Falls. Die Personen bei der Meldestelle müssen das entsprechende Fachwissen haben, um einzuschätzen, ob etwas strafrechtlich relevant ist. Falls in solchen Fällen eine Triage stattfindet, muss genügend rechtliches Wissen vorhanden sein, um diese Fälle zu erkennen. 


 

Wie unabhängig ist die Meldestelle? 

Die Stiftung Swiss Sport Integrity ist unabhängig. Dennoch bestehen aufgrund der Leistungsvereinbarung mit Bund und Swiss Olympic Interessenkonflikte. Unabhängig davon erachten wir es grundsätzlich als problematisch, wenn der Entscheid, ob etwas an die zuständigen Behörden gemeldet oder an andere Fachstellen triagiert wird, innerhalb der Organisation geschehen soll. Es liegt nicht im Kompetenzbereich einer Meldestelle (und soll es auch nicht) zu entscheiden, inwiefern weitere Schritte einzuleiten sind. Vielmehr müsste die Meldestelle verpflichtet sein, in jedem Fall die meldende Person, insbesondere wenn es sich um das Opfer handelt, an geeignete Fachstellen zu verweisen. Damit wäre sichergestellt, dass die Personen die notwendigen Informationen erhalten, um unabhängig von der Meldung an Swiss Sport Integrity weitere Verfahren anzustrengen, respektive Hilfe zu erhalten. Auch bezüglich der Erstberatung ist es aus unserer Sicht absolut notwendig, dass diese losgelöst von Sports Integrity erfolgt, um die Personen vollumfänglich und ohne Interessenkonflikte zu beraten, da ansonsten die Gefahr eines parallelen Justizsystems besteht. Die Erstberatung sollte genau wie die Meldungserstattung an sich niederschwellig und kindgerecht sein. Sprich, Informationen dazu müssen auf den ersten Blick ersichtlich sein. Gerade wenn jemand zunächst zögert eine Meldung zu erstatten, kann eine Erstberatungsstelle eine Erleichterung darstellen und so den Zugang zum Rechtssystem für ein Kind sicherstellen. 

 

Förderung oder Überforderung? 

Sei es im Leistungssport oder im Hobbysport, oft befinden sich Kinder im Sport auf einem schmalen Grat zwischen Förderung und Überforderung. Macht es dem Kind noch Spass? Trainiert es aus Freude und persönlichem Ehrgeiz heraus oder um den Eltern oder Trainer:innen zu gefallen? Kaum scheinen die Magglingen-Akten bearbeitet zu sein, häufen sich aktuell die Berichte zu Missständen in renommierten Tanzschulen. Es wird immer deutlicher, dass sich diese kinderrechtlich fragwürdigen Zustände im Sport nicht auf einige wenige Bereiche eingrenzen lassen. Ein aktives Hinschauen, gründliches Nachfragen und beherztes Eingreifen aller Mitwirkender ist die Grundlage für die Schaffung von kindgerechtem Sport.  
 

 

Sensibilisierung statt Bürokratie 

Wir von der Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz plädieren darum auch im Hinblick auf die Meldestelle von Swiss Sport Integrity auf Sensibilisierung statt Bürokratie. Im Grundsatz unterstützen wir es, an staatliche Subventionen Bedingungen zu knüpfen und dass Verstösse gegen Ethik-Prinzipien Kürzungen als Konsequenz nach sich ziehen können. Sensibilisierung ist jedoch die beste Prävention.
 

 

Weiterbildungen für Trainer:innen 

Unserer Meinung nach sollten der Schutz- und Sensibilisierungsgedanke im Fokus stehen. Wir würden es begrüssen, wenn sich die Sportförderung stärker auf Praktikabilität und Sensibilisierung denn auf Sanktionierungen konzentrieren würde. Beispielsweise indem in der Sportförderungsverordnung (SpoFöV) regelmässige Weiterbildungen zur Sensibilisierung für Trainer:innen vorgeschrieben würden oder diese grundsätzlich und regelmässig einen Strafregisterauszug vorweisen müssten. Grosse Vorarbeit zu diesem Thema leistet die Stiftung IdéeSport, welche in einem dreijährigen Projekt praktische, zielgruppenadäquate und sehr wirksame Massnahmen zum Schutz des Kindeswohls erarbeitet hat. Gerne verweisen wir auf die Stellungnahme von IdéeSport, dass auch der nicht-organisierte Sport Teil dieser Verordnung sein sollte.