Die Partizipation des Kindes steht im Zentrum der neuesten Ausgabe des Magazins «undKinder» des Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI). In einem umfassenden Gastbeitrag durften wir in diesem Heft das Thema aus rechtlicher Perspektive beleuchten. Die wichtigsten Punkte unseres Artikels «Schutz des Kindes durch Partizipation» haben wir für Sie in drei Blogs aufbereitet. Im dritten und letzten Teil wollen wir zum Abschluss auf die Wichtigkeit der kindgerechten Anhörung eingehen.
Als nationale Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz sorgen wir dafür, dass Minderjährige Zugang zum Rechtssystem und zu bestehenden Beschwerdemöglichkeiten erhalten. Wir werden tätig, wenn ein Kind uns von sich aus kontaktiert. Wir klären das Kind über seine Rechte auf und mobilisieren Fachpersonen vor Ort, damit die Kinderrechte umgesetzt werden.
Unser normativer Rahmen sind die Leitlinien des Ministerkomitees des Europarates für eine kindgerechte Justiz und die UN-Kinderrechte:
Damit ein Kind in einem Rechtsverfahren partizipieren also mitwirken kann, muss es in einem ersten Schritt über seine Rechte und alle Vorgänge des Verfahrens kindgerecht informiert werden. Die verantwortlichen Fachpersonen müssen dabei sicherstellen, dass das Kind nachvollziehen kann, was bereits geschehen ist und was weiter geplant wird. Nur so kann es in einem zweiten Schritt in einer Anhörung seine Meinung, Wünsche und Bedenken zielführend zum Ausdruck bringen.
Leider wird vielen Kindern in der Schweiz das Recht auf Partizipation, insbesondere das Recht auf Gehör auch heute noch nicht automatisch gewährt, wie das folgende Beispiel von Elina und Eliza zeigt:
Beratungsbeispiel – Scheidungsrecht
Elina (12) und Eliza (10) melden sich online bei der Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz. Ein Schulgspänli hat Elina den Tipp gegeben. Ihre Eltern stehen in einer äusserst strittigen Scheidung. Nun haben die Schwestern erfahren, dass sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater das alleinige Sorgerecht beantragt haben. Elina und Eliza selber wurden weder gefragt, was sie wollen, noch wurden sie über ihre Rechte im Scheidungsverfahren informiert. Die Mädchen sind ratlos, zornig, verzweifelt: Können die Erwachsenen einfach so über ihre Köpfe hinweg über ihr Leben bestimmen?
Wir informieren die Schwestern telefonisch über ihre Rechte, insbesondere darüber, dass sie ein Recht auf Gehör (Anhörung durch eine:n Richter:in) sowie auf eine Rechtsvertretung haben. Wir empfehlen ihnen auch, die Richterin direkt zu kontaktieren (telefonisch oder per Brief) und eine Anhörung einzufordern. Zudem beantragen sie die Einsetzung einer Rechtsvertretung. Nachdem sie mehrere Wochen von der Richterin nichts gehört haben, rufen sie wieder bei uns an und bitten uns um weitere Unterstützung. Sie erteilen uns die Erlaubnis, direkt mit der Richterin Kontakt aufzunehmen. Nach einem vermittelnden Gespräch mit der Richterin wird eine Anhörung organisiert, dem Antrag auf Einsetzung einer Rechtsvertretung wird stattgegeben. In Elinas und Elizas Fall wurden mehrere Rechte nicht angewendet: ihr Recht auf Gehör und Meinungsäusserung, auf Information und auf eine Rechtsvertretung. Als Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz konnten wir die Folgen einer Nichtanhörung verhindern, nämlich, dass das Gericht entscheidet, ohne den subjektiven Willen der Mädchen zu kennen; und wir haben sichergestellt, dass die Kinder vor Gericht vertreten werden.
Anhörung als zentrales Element der Partizipation
Die Anhörung ist ein zentrales Element der Partizipation in jedem Verfahren, in dem Kinder beteiligt sind. Je nach Verfahren und Rechtsgebiet wird die Anhörung anders genannt:
Generell geht es jedoch immer um dasselbe: das Recht des Kindes auf Äusserung seines subjektiven Willens. Wie das Beispiel von Elina und Eliza zeigt, ist es nicht immer selbstverständlich, dass eine Anhörung stattfindet. Aus entwicklungspsychologischer Sicht sind Kinder durchschnittlich etwa ab sechs Jahren in der Lage, ihre Meinungen und Wünsche zu einer Angelegenheit, die sie betrifft, in Worte zu fassen oder sie einer fremden Person verbal mitzuteilen. Diese Alterslimite soll aber nicht starr angewendet, sondern dem jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes und der Fragestellung angepasst werden. Es ist nur ausnahmsweise zulässig, von einer Anhörung abzusehen, etwa wenn zweifelsfrei feststeht, dass das Kind sein Anhörungsrecht nicht wahrnehmen kann oder will. Mit der Einladung zur Anhörung wird dem Kind mitgeteilt, dass es sich am laufenden Entscheidungsverfahren beteiligen und sich zu seiner Situation äussern darf. Die Einladung soll das Kind für die Anhörung motivieren.
Mitwirken macht stark
Aus psychologischer Sicht ist es für Kinder äusserst wertvoll, wenn sie ihren eigenen subjektiven Willen in wichtige Entscheidungsverfahren einbringen können. Die kindliche Entwicklung hängt gerade in belastenden Situationen davon ab, wie gut Kinder verstehen können, was um sie herum passiert. Besonders für verunsicherte oder verängstigte Kinder kann ein offenes Gespräch entlastend wirken. Durch die erhaltenen Informationen können sie ihre Eindrücke einordnen, sich mit ihrer Situation auseinandersetzen und sich besser auf anstehende Veränderungen einstellen. Ebenfalls positiv ist die Erfahrung der eigenen Wirksamkeit. Zu erleben, dass das, was sie sagen oder tun, eine Wirkung hat und als wertvoll aufgefasst wird, stärkt Kinder in belastenden Situationen. Für Kinder ist es zudem zentral, Personen in Schlüsselsituationen zu begegnen, die sich ernsthaft um ihr Wohlbefinden kümmern und sich ehrlich für sie interessieren.
Unterstützung für Fachpersonen
Haben Sie Fragen rund um das Thema «Anhörung von Kindern und Jugendlichen»? Oder interessieren Sie sich für Weiterbildungen in diesem Bereich? Dann zögern Sie nicht, sich bei uns zu melden. Wir beraten Sie gerne und auf unserem Bildungsportal finden Sie passende Weiterbildungsangebote. Bitte machen Sie auch Kinder und Jugendliche in Ihrem privaten oder beruflichen Umfeld auf unser kostenloses Beratungsangebot aufmerksam.
Mehr zum Thema Schutz der Kinder durch Partizipation erfahren Sie in unserem umfassenden Artikel, der in der neuesten Ausgabe des Magazins «undKinder» des MMI – Marie Meierhofer Institut für das Kind erschienen ist.
Unser Flyer für Kinder und Jugendliche
Fachpersonen sind unter anderem Kinder- und Jugendbeauftragte, Beistandspersonen, KESB-Mitarbeiter:innen, Richter:innen, Staats- und Jugendanwält:innen, Rechtsvertreter:innen des Kindes, Opferhilfeberater:innen, Gutachter:innen, Mediator:innen, Therapeut:innen, Schulsozialarbeiter:innen, Gefängnismitarbeiter:innen, Polizist:innen, Lehrer:innen, Migrationsfachpersonen, Mediziner:innen, Sportleiter:innen, Pflegeeltern oder Heimmitarbeiter:innen und viele weitere.
Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI)
Das Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI) ist ein Fachinstitut für die frühe Kindheit. Es beschäftigt sich mit den Voraussetzungen gelingender sowie mit der Prävention problematischer Entwicklungsverläufe.
Das MMI vereint entwicklungspsychologisches, frühpädagogisches, familiensoziologisches Wissen und verbindet Praxis und Forschung in einer multi- und transdisziplinären Arbeitsweise.
Das MMI ist ein Assoziiertes Institut der Universität Zürich.