Welche Lücke füllt eine Ombudsstelle für Kinderrechte?

27. Mai 2022

Bald zwei Jahre ist es her, seit das Parlament die Motion «Ombudsstelle für Kinderrechte» angenommen hat. Aktuell ist die Bundesverwaltung am Zug. Das Parlament hat mit der Zustimmung zur Motion die Lücke anerkannt, die darin präzise umschrieben ist: Trotz der mindestens 58 Kinderrechtsorganisationen, der 7 kantonalen und der weiteren kommunalen Ombudsstellen besteht zusätzlich Bedarf an einer Ombudsstelle für Kinderrechte. Wie kann das sein?

Die Antwort liegt auf der Hand: Erstens, weil nur eine von der Verwaltung unabhängige, niederschwellige und barrierefreie Ombudsstelle allen Kindern in der ganzen Schweiz den Zugang zur Justiz garantiert und aus der Erfahrung mit dem Einzelfall heraus das Justizsystem kindgerechter macht. Und zweitens, weil eine solche Ombudsstelle für Kinderrechte im Vergleich mit den bestehenden kantonalen und kommunalen Ombudsstellen besondere Anforderungen erfüllen muss. Aber der Reihe nach.

 

Rechtliche Beratung bei Kontakt mit Rechtssystem

Die Anforderungen an Ombudsstellen im Allgemeinen wurden auf internationaler Ebene intensiv diskutiert und sind in den Venedig-Prinzipien festgehalten. Wichtige Aspekte sind zudem in den Pariser Prinzipien bezüglich nationaler Menschenrechtsinstitutionen enthalten. Eine Ombudsstelle ist demnach eine Institution, die unabhängig gegen Missstände in der Verwaltung und mutmassliche Verletzungen von Menschenrechten und Grundfreiheiten vorgeht. Das Recht, sich bei einer Ombudsstelle zu beschweren, ergänzt das Recht auf Zugang zu den Gerichten. Sie braucht eine feste rechtliche Grundlage zumindest auf Gesetzesebene mit einem breiten öffentlich-rechtlichen Mandat und einem Auskunftsrecht.

Kinder und Jugendliche sind von vielen Rechtsgebieten betroffen, vom Strafrecht über das Kindesschutz- und Familienrecht bis zum Schul- oder zum Ausländerrecht. Im Zusammenhang mit dem Rechtssystem benötigen Kinder und Jugendliche zwingend kindgerechte Information, rechtliche Beratung und vor allem Vermittlung zwischen ihnen und Fachpersonen. Sie können sich ungleich schlechter als Erwachsene wehren, wenn die Kinder- und Verfahrensrechte nicht gewährt werden – insbesondere können nicht urteilsfähige Kinder zum Beispiel keinen Anwalt mandatieren, ihre Interessen zu vertreten. Deshalb muss eine Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche ihre Rechte und den Machtausgleich sicherstellen. Dies betrifft insbesondere das Recht, angehört zu werden, und falls ein Beschwerdeverfahren nötig wird, die Einsetzung einer Rechtsvertretung.  Ganz in diesem Sinn ist eine niederschwellige Ombudsstelle für Kinderrechte für Kinder mit einer Behinderung zentral: Als vulnerable Gruppe benötigen diese speziellen Schutz und Zugang zum Rechtssystem. Alle Kinder haben das Recht auf einen Entscheid im übergeordneten Kindesinteresse (best interest of the child).

Damit die Stelle ihre Wirkung entfalten kann, muss sie gemäss den Venedig-Prinzipien unabhängig, objektiv, transparent, fair und unparteilich sein und braucht ein öffentlich-rechtliches Mandat. Eine nationale Lösung stellt sicher, dass alle Kinder und Jugendlichen – unabhängig von der kommunalen, kantonalen, nationalen oder sogar internationalen Ebene im Instanzenzug – immer den Zugang zur Justiz erhalten. Besonders wichtig ist dies im Rahmen interkantonaler oder sogar internationaler Situationen.

 

Einzelfallberatung und Systemexpertise aus einer Hand

Wichtig ist, dass die Ombudsstelle für Kinderrechte nicht nur im Einzelfall, sondern auch auf einer systemischen Ebene wirksam ist. Zu diesem Zweck muss sie das durch die Beratung der Kinder generierte praxisorientierte Wissen in die Bildung von Fachpersonen im Rechtssystem einfliessen lassen und auch an Politik und Verwaltung weitergeben. Nur wenn dies aus einer Hand geschieht, können die beiden Stränge sich gegenseitig befruchten und die Kindgerechtigkeit des Justizsystems insgesamt und das Qualitätsmanagement des Rechtssystems optimal fördern.

Wenn man die Ombudsstelle für Kinderrechte in dieser Weise auf der Basis der internationalen Abkommen beschreibt, ist offensichtlich, dass diese Rolle bisher von keiner bestehenden Kinderrechtsorganisation ausgefüllt wird. Unsere privatrechtliche Ombudsstelle für Kinderrechte schliesst diese Lücke übergangsweise und als Modellvorhaben.

 

Plurales Ombuds-Modell wichtig für Kinder

Die bestehenden Ombudsstellen von Kantonen und Gemeinden leisten unverzichtbare, wertvolle Arbeit. Die Lücke bezüglich Kinderrechten können sie aus einer Reihe von Gründen aber ebenfalls nicht schliessen:

  • Sie beschränken sich jeweils auf die kantonale und kommunale Verwaltung der Staatsebene, auf der sie angesiedelt sind.
  • Sie sind vor allem Anlaufstelle für erwachsene Bürger:innen und Mitarbeiter:innen der Verwaltung und nur bedingt auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen vorbereitet.
  • Sie behandeln Beschwerden bezüglich Missständen in der Verwaltung, sofern nicht bereits Gerichte involviert sind. Diese Rahmenbedingungen sind für Erwachsene sinnvoll. Bei der Ombudsstelle für Kinderrechte ist die Ausgangslage aber eine andere: Die Ombudsstelle für Kinderrechte schreitet massgeblich bei Missständen im Rechtssystem ein und führt deshalb keine eigenen Verfahren, sondern stellt nur den Zugang zu bestehenden Beschwerdemechanismen und zu den rechtlichen Instanzen sicher. Innerhalb des Justizsystems und des Instanzenzugs führen qualifizierte und auch von der Ombudsstelle unabhängige Rechtsvertreter:innen Beschwerdeverfahren. Sie verfügen über das nötige Akteneinsichtsrecht und die Möglichkeit, Verfahren durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und bis zum UN-Kinderrechtsausschuss zu führen.
  • Es gibt weder flächendeckende kommunale und kantonale Ombudsstellen noch solche auf Bundesebene. Nur eine nationale Ombudsstelle für Kinderrechte kann eine einheitliche Berichterstattung, Empfehlungen und einen Wissenstransfer z.B. zu Gesetzgebungen an die Legislative, Exekutive und Judikative auf allen drei Staatsebenen sicherstellen.

Die Lücke, welche die Ombudsstelle für Kinderrechte füllen muss, ist klar – und in der Motion auch präzise umschrieben. Hoffen wir zugunsten der Kinder und Jugendlichen, dass der politische Prozess nun rasch zu einer öffentlich-rechtlichen, national handlungsfähigen Ombudsstelle für Kinderrechte führt, welche vollständig, unabhängig und wirksam ihre Aufgaben und Funktionen wahrnehmen kann.

 

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