Nationale Vernehmlassung bestätigt breite Forderung nach einer Ombudsstelle für Kinderrechte

26. April 2024

Die Vernehmlassung zur Umsetzung der Motion 19.3633 «Ombudsstelle für Kinderrechte» ist Ende März abgelaufen. Wie bereits im Februar berichtet (siehe Blog-Beitrag), lehnt die privatrechtliche Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz die bundesrätliche Vorlage als Umsetzung der Motion Noser entschieden ab. Stattdessen fordert sie eine Botschaft auf Gesetzesstufe, die die Grundlagen für eine öffentlich-rechtliche, nationale, unabhängige und zeitgemäss niederschwellige Ombudsstelle für Kinderrechte schafft. Unsere entsprechende finale Stellungnahme finden Sie hier. 

 

Mittlerweile haben weitere Organisationen und Parteien ihre Stellungnahmen publiziert. Erfreulicherweise stösst die Motion Noser 19.3633 «Ombudsstelle für Kinderrechte» mit ihrer grundsätzlichen Forderung auf enorme Unterstützung. Fast alle Fachorganisationen sind sich einig, dass sie den vom Bundesrat vorgeschlagenen Weg als ungenügend erachten und eine effektive Umsetzung der Motion Noser fordern. Weitere wichtige Akteure aus den Kantonen, die Mehrheit der politischen Parteien sowie zahlreiche Organisationen vertreten ebenfalls diese Haltung. 

 

Dringlichkeit einer umfassenden nationalen Lösung

Vor dem Hintergrund dieser breiten Beteiligung dürfte das Geschäft im Bundesrat und womöglich auch im nationalen Parlament nochmals für Diskussionen sorgen. Die Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz hofft aufgrund der deutlichen Erwartungen aus der Vernehmlassung nun umso mehr, dass Bund und Parlament die Dringlichkeit der Forderung anerkennen und die notwendigen Schritte hierfür einleiten. 

Die Notwendigkeit der geforderten Ombudsstelle ist in Fachkreisen unumstritten und auch politisch breit abgestützt. Dies wird umso nachvollziehbarer, wenn unmittelbar Betroffene aufzeigen, welches Leid ihnen mit einer solchen Stelle erspart geblieben wäre. Hier sei insbesondere auf Careleaver Schweiz verwiesen, die sich dafür einsetzen, dass (ehemalige) Heim- und Pflegekinder künftig bessere Chancen und Unterstützung erhalten, um als junge Erwachsene Fuss zu fassen. In ihrer Stellungnahme erläutern sie, warum es gerade für Menschen, die bereits in jungen Jahren mit sehr herausfordernden Situationen konfrontiert sind, enorm wichtig wäre, sich auf eine solche Stelle verlassen zu können. Im Sinne der Chancengerechtigkeit, aber auch für das Verhindern von Unrecht mit hohen gesellschaftlichen, sozialen und auch finanziellen Folgen.

 

Erwartungen an die Politik aus Sicht der Kinderrechte

Die Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz hat darum schon vor rund zwei Jahren einen Gesetzesentwurf erarbeitet, der zu Beginn der politischen Diskussion als Input den zuständigen Stellen zur Verfügung gestellt wurde. Dieser Entwurf wäre eine wertvolle Grundlage für die weiteren, nun notwendigen Arbeiten und Diskussionen für eine umfassende Lösung auf nationaler Ebene. In den Vorschlag waren praxisorientierte Erkenntnisse sowie zahlreiche Rückmeldungen und Erfahrungen aus Fachkreisen bzw. aus den Gesprächen mit entsprechenden Fachpersonen eingeflossen.

Eine öffentlich-rechtliche Ombudsstelle für Kinderrechte, die sich effektiv an Kinder richtet und das heutige Justizumfeld ergänzt, erfordert gemäss diesen Erfahrungen die folgenden Rahmenbedingungen und Strukturen bzw. umfasst folgende zentrale Aufgaben:

  • eine gesetzliche Grundlage mit einem öffentlich-rechtlichen Mandat
  • den Fokus auf der rechtlichen Beratungs- und Vermittlungstätigkeit
  • ein Auskunftsrecht für den Informationsaustausch
  • die Legitimation, Empfehlungen auszusprechen
  • unabhängig und national mit sprachregionalen Vertretungen
  • zeitgemäss niederschwellig, mehrsprachig und barrierefrei für alle Kinder in der Schweiz zugänglich
  • ausgewiesene Kompetenzen im Umgang mit Kindern
  • die notwendigen juristischen Kenntnisse in allen Rechtsgebieten
  • Sicherstellung der Rechte in wichtigen Lebensbereichen von Kindern, wie früher Kindheit, Schule, Sport, Gesundheit, Scheidung/Trennung der Eltern, Kindesschutz vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt, Vernachlässigung, Delikte, Armut (Sozialhilfe), Diskriminierung, Rassismus, Migration
  • Gewährleistung des Zugangs zur Justiz sowie zu bestehenden Beschwerdemöglichkeiten und Rechten, u.a. Recht auf Information, auf Gehör und auf eine Rechtsvertretung
  • Recht auf die Mandatierung einer unabhängigen Rechtsvertretung bei nicht-urteilsfähigen Kindern (sofern die zuständigen Behörden und Gerichte die Mandatierung nicht selbst vornehmen)
  • Vernetzung und Zusammenarbeit mit allen Akteur:innen im Rechtssystem
  • Förderung im Bereich der Kinderrechte durch praxisorientierte Erfahrung
  • jährlicher Bericht an Legislative, Exekutive und Judikative auf Bundes- und Kantonsebene
  • Zur Sicherstellung der Unabhängigkeit von Exekutive und Judikative soll das Mandat durch eine Sub-Kommission (SR+NR) der Staatspolitischen Kommissionen (SPK) des Bundesparlamentes vergeben werden
  • Investition von jährlich zwei Millionen Franken

Diese Rahmenbedingungen sowie das notwendige Investitionsvolumen sind basierend auf den Erfahrungen des privatrechtlichen Modellvorhabens ausreichend, um die Aufgaben nachhaltig und effektiv wahrnehmen zu können. Die Investition zahlt sich aus, da es weniger Beschwerden geben wird und sich so Justizkosten im ganzen Instanzenzug reduzieren. Zudem werden Eskalationen verhindert, Verfahren gekürzt und Fehlurteile mit teuren Kostenfolgen vermindert.

 

Sichergestellte Verfassungskonformität dank eingeschränkter Kompetenzen

Mit diesen Rahmenbedingungen wird gleichzeitig auch deutlich, dass klare Kompetenzabgrenzungen festgehalten werden. So soll die Ombudsstelle als unterstützende und koordinierende Instanz fungieren und bei Rechtsverletzungen kurzfristig und situativ vermittelnd intervenieren, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen. Die direkte Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen wird weiterhin ausschliesslich von Fachpersonen vor Ort – wie Beistandspersonen, Schulsozialarbeitenden, Psycholog:innen, Mediator:innen, Mitgliedern der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB), Richter:innen, Jugendanwält:innen, Polizist:innen, Rechtsvertreter:innen und weiteren spezialisierten Diensten – geleistet. Diese Fachpersonen sind unersetzlich für die Bereitstellung der benötigten Hilfe und Unterstützung auf lokaler Ebene und die Umsetzung der Kinderrechte vor Ort. 

Da eine Ombudsstelle unabhängig und unparteilich sein muss, Fachpersonen vor Ort nicht ersetzt und nur situativ und kurzfristig vermittelnd interveniert, benötigt sie auch kein Akteneinsichtsrecht. Ein Auskunftsrecht reicht aus. Zudem führt sie keine Rechtsverfahren und hat kein Beschwerderecht, um Rechtsmittel zu ergreifen. Hierfür gibt es Rechtsvertretungen vor Ort. Das gleiche gilt für Ermittlungen, auch hier sind die Ermittlungsbehörden vor Ort zuständig. Ausserdem soll die Ombudsstelle auch keine systematische Überwachungsbefugnis über Bundesämter und Kantone innehaben. Benötigt es eine Meldung an eine Aufsicht, dann sind die Aufsichtsstellen von Bund, Kantonen und Gemeinden zuständig.

Insbesondere in diesen Punkten unterscheiden sich die Erwartungen verschiedener Fachorganisationen an die Kompetenzen einer öffentlich-rechtlichen Ombudsstelle für Kinderrechte. Vor diesem Hintergrund ist auch die kritische Haltung in Bezug auf die Verfassungskonformität des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) im erläuternden Bericht zur Vernehmlassung nachvollziehbar. Mit den erwähnten eingeschränkten Kompetenzen hingegen wäre eine entsprechende Stelle absolut konform mit der Bundesverfassung und würde gleichzeitig das Subsidiaritätsprinzip sowie die heutigen Kompetenzabgrenzungen wahren. Das zeigt insbesondere die vergleichbare – verfassungskonforme – Meldestelle von Swiss Sport Integrity, die ebenfalls auf nationaler Ebene Meldungen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus lokalen Sportorganisationen entgegennimmt und zu hundert Prozent vom Bund finanziert wird. Um die erhoffte, wirkungsvolle Ombudsstelle für alle Kinder in der Schweiz auf nationaler Ebene zu installieren, gilt es somit die notwendigen Kompetenzen für die effektive Zweckerreichung sorgfältig abzuwägen. 

 

Was wir vom Bund in den kommenden Monaten erwarten

Die Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz ist überzeugt, dass mit den vorliegenden Stellungnahmen der wichtigen Akteure aus der Sozial- und Kinderpolitik sowie dem erwähnten Gesetzesentwurf auf Bundesebene relativ rasch eine überarbeitete Vorlage bereitgestellt werden kann. Im Optimalfall und mit dem entsprechenden Willen von Verwaltung und Politik könnte bereits im Jahr 2026 ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten. Ganz nach dem Vorbild der erwähnten Meldestelle von Swiss Sport Integrity, deren Installation innerhalb eines Jahres möglich war.

Vorerst gilt es jedoch die Auswertung der Vernehmlassung sowie das weitere Vorgehen des Bundes abzuwarten. Die Stellungnahmen der Vernehmlassungsteilnehmenden dürften in den kommenden Wochen unter folgendem Link aufgeschaltet werden. Der Ergebnisbericht wird spätestens im dritten Quartal erwartet. Der Bundesrat wird danach über das weitere Vorgehen entscheiden.

Die Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz wird ihre 17-jährige praxisorientierte Erfahrung im Bereich Kinderrechte sowie die Erkenntnisse aus dem Modellvorhaben/Pilotprojekt in der Zwischenzeit weiterhin für ein besseres und kindgerechteres Justizsystem einbringen. Kinder haben als Individuen Rechte. Der Staat hat diese zu respektieren und entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen. Es ist Zeit, dass die Schweiz ihren Verpflichtungen nachkommt und unter anderem endlich die bereits im Jahr 1997 ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention effektiv umsetzt – zum Wohle unserer Gesellschaft und vor allem zum Wohle unserer Kinder.