Urteilsfähigkeit einer minderjährigen Patientin, widersprechender Wille der Mutter

BGE 134 II 235

Bundesgerichtsentscheid vom 2. April 2008

Übersetzung in: Pra 98 (2009) Nr. 31 = BGE 134 II 235

Art. 16 ZGB, Art. 19 Abs. 2 ZGB

Ob sich ein Therapeut über die ausdrückliche Weigerung einer minderjährigen Patientin hinwegsetzen darf, wenn die Mutter der Behandlung zustimmt, hängt ausschliesslich davon ab, ob die minderjährige Patientin im Zeitpunkt der Ereignisse urteilsfähig ist oder nicht. In medizinischen Belangen muss die Urteilsfähigkeit eines unmündigen Patienten in jedem Fall berücksichtigt werden. Die Urteilsfähigkeit ist nicht an feste Altersgrenzen gebunden, sondern muss im konkreten Einzelfall beurteilt werden. Zu berücksichtigen sind insbesondere das Alter des Kindes, die Art der Behandlung oder des Eingriffs und dessen therapeutische Notwendigkeit. Die Patientin war im Zeitpunkt der Ereignisse etwas mehr als dreizehn Jahre alt, sie war sich der Tragweite ihres Handelns durchaus bewusst. Beim durchgeführten Eingriff handelte es sich zudem nicht um eine lebensnotwendige Behandlung. Der Therapeut hätte den Willen der minderjährigen Patientin berücksichtigen und respektieren müssen, auch wenn die Mutter der Behandlung zustimmte.